Vorsicht bei der offenen Hörgeräteversorgung

Die offene Versorgung mit Hörgeräten – Vorsicht

Die offene Versorgung ist in aller Munde und wird als „die angenehmste Art Hörgeräte zu tragen“ angepriesen, doch was steckt dahinter?
Ist die offene Versorgung wirklich die beste Entscheidung bei der auswahl der Hörgeräte?

Was bedeutet offene Versorgung?

Bei der offenen Hörgeräteversorgung wird ein Hinter dem Ohr Hörgerät mit einem sehr kleinen,
unauffälligem Schlauch der verstärkte Schall in den Gehörgang geleitet.
Der Gehörgang wird weitestgehend frei gelassen und mit einem kleinen Schirmchen (Dome) fixiert.
Der dünne Schlauch wird SlimTube oder auch ThinTube genannt – unter Akustikern hat sich jedoch die Bezeichnung „SchlimmTube“ eingeschlichen.

Wieso ist der SlimTube ein SchlimmTube?

Stellen Sie sich den Fall vor: Es Brennt!
Die Feuerwehr kommt und rollt einen Schlauch ab der den Durchmesser eines Strohhalms hat und probiert zu löschen.

Statt in das Feuer zu spritzen wird ziellos in die richtung des Feuers gespritzt und auf Ihre Nachfrage bekommen Sie zur Antwort: Die Richtung passt schon!

Wie würden Sie hier reagieren?

Genau! Um effektiv zu löschen reicht der pieselige Strahl nicht aus, denn der kleine Schlauchdurchmesser verringert den Wasserdruck am Schlauchausgang und verhindert den Durchfluss von der nötigen Menge des Löschmittels. Und das wenige Löschmittel was nun zur Verfügung steht wird nicht effektiv genutzt sondern als einfach irgendwo in den Brand gegeben. Hauptsache wir tun was.

Hinkt dieses Beispiel?

Die offene Hörgeräteversorgung und die Nachteile.
Die offene Hörgeräteversorgung und die Nachteile.

Entscheiden Sie selbst.

Wenn Schall durch einen Schlauch geführt wird müssen sich die Luftteilchen im Rhytmus der Frequenz vor und zurück bewegen. Gerade dort wo die Luft an einer Schlauchwand steht, wird diese Bewegung durch Reibung verringert und die Bewegung verliert an Energie. In der Mitte des Schlauches ist sehr geringe Reibung. Je größer nun der Schlauchdurchmesser ist um so besser ist das Verhältnis von Schallteilchen die nicht duch die Schlauchwandung gebremst werden zu den gebremsten Schallanteilen. In diesem System wird natürlich nochmals nach der Frequenz unterschieden. Je höher die Frequenz um so mehr Reibungsverlusste treten auf. Der normale Schallschlauch mit einem Schlauchdurchmesser (innen) von 2,1 mm stellt für die vom Hörgerätübertragenen Frequenzen nur ein kleinen Wiederstand da. Der SlimTube mit einem Innendurchmesser von ca. 1mm fängt ab 1 kHz an den Schall zu dämpfen. Mit steigender Frequenz (also höhere Töne) steigt auch die Dämpfungswirkung.

Kurz gesagt: Dünne Schläuche lassen tiefe Töne gut passieren, hohe Töne werden reduziert.

Da der normale Hörverlust im Hochtonbereich liegt oder auch im verhältnis im Hochtonbereich stärker ausgeprägt ist (gut 95% unserer Kundschaft) ist ein SlimTube in der Regel das schlechteste was ich einem Kunden empfehlen kann.

Ist das die offene Versorgung?

Nein, die offene Versorgung geht noch einen Schritt weiter auf dem Irrweg der angenehmen Hörgeräteversorgung.

SlimTube Versorgungen werden oft mit offenen Schirmchen (Domes) genutzt. Ein Gehörgang der offen bleibt lässt den verstärkten Tieftonanteil, der in den Gehörgang geleitet worden ist einfach aus dem Gehörgang nach draußen. Als aus dem Ohr hinaus. Das Ergebnis ist: Die hohen Töne kommen nicht zum Trommelfell, da diese im dünnen Schlauch aufgezehrt werden und die tiefen Töne, die den Schlauch gut durchwandern können wandern aus dem Gehörgang hinaus und lassen ihre Energie verpuffen.

Effektiv können mit offenen SlimTubeversorgungen leichte Hörverluste im Mitteltonbereich versorgt werden. Das ist eine der seltensten Arten der Schwerhörigkeit.

Warum wird dann die offene Versorgung angeboten?

Die offene Versorgung erfüllt den Wunsch der meisten Schwerhörigen. An erster Stelle steht hier der Wunsch nach Unauffälligkeit. Der dünne Schlauch ist unauffälliger als der normale Schallschlauch. Eine gleich unauffällige Lösung ist das Ex-Hörer System, doch die SlimTubelösung ist deutlich günstiger, was der 2. Wunsch des Kunden ist. Als drittes möchte der Kunde eigentlich das alles so bleibt wie es ist, nur die Verwandten und Bekannten sollen endlich „Ruhe geben“ und nicht immer auf das schlechte Hören hinweisen. Nun kann er sagen, dass er doch ein Hörgerät trägt. Da die Verstärkung und der Effekt des Hörgerätes sehr gering ist, braucht sich der Hörgeräteträger nicht stark umgewöhnen. Eine Veränderung die keine ist, ist sehr leicht zu akzeptieren.

  1. Unauffällig
  2. Kostengünstig
  3. Der Kunde hat sich gekümmert
  4. Angenehm

Welche Alternativen sind möglich?

Wer kostengünstig besser hören möchte und sich mit einer kleinen Sichtbarkeit des Schallschlauches arangieren kann erhält die effektievste Verbesserung durch klassische Hörgeräte mit normalem Schallschlauch. Der normale Schallschlauch lässt die Verstärkung gut in den Gehörgang fließen. Im Zusammenspiel mit einer Maßotoplastik kann durch kleine Zusatzbohrungen eine gute Belüftung und ein recht angenehmer erster Eindruck hergestellt werden. Die Gewöhnung erfolgt durch dauerhaftes Tragen der Hörgeräte in recht kurzer Zeit. Bei einer Tragedauer von 12 Stunden am Tag nach ca. 4 – 10 Tagen. Diese Zeitspanne sollte genutzt werden das neue Hören zu erleben und Bewusst auf Geräusche zu achten. Die Änderung der Klangeindrücke ist gewollt, denn wenn das Hören verbessert wird, Hört man besser und mehr!

Andere Alternativen sind Ex-Hörer Hörgeräte, Hörbrillen, In-dem-Ohr-Hörgeräte, Ex-Mikro Hörgeräte ….

Wer die Hörgerätetechnik mit Störschallreduzierung, Windunterdrückung, Spracherkennung, Frequenzverschiebung, Impulsschallreduzierung, u.v.m. effektiv nutzen möchte, sollte nicht die offene Versorgung wählen. Die beste Hörgerätetechnik wird durch eine offene Versorgung effektiv kontaminiert.

Das Ziel der Hörgeräteversorung sollte das bestmögliche Sprachverstehen sein und nicht die angenehmste Art Hörgeräte zu tragen.
Nutürlich steht das Wohlfühlen mit dem Hörgerät an 2. Stelle, muss sich aber dem Hörbedarf unterordnen.

Wer diese zwei Punkte andersherum gewichtet muss sich der Konsequenzen bewusst sein.

Die Konsequenz für Sie!

Zum Glück sind die meisten Hörgeräte, die mit SlimTube und offenen Schirmchen (Dome) angepasst werden innerhalb von einer Woche zu einem richigen Hörgerät umrüstbar.

  1. Abdruck vom Ohr nehmen
  2. Otoplastik anfertigen (ca. 68,-€/Seite)
  3. Normalen Schlauch und Hörwinkel anschließen
  4. Neuprogrammieren nach einem aktuellen Hörtest
  5. 75% der Solleinstellung
  6. 4-10 Tage eingeöhnen
  7. nach und nach auf 100% Solleinstellung feinjustieren

Bis auf die Otoplastikanfertigung sollten alle Schritte bei Ihrem Akustiker schon im Hörgerätepreis enthalten sein. Es ist also keine Frage des Preises sondern die Fragen nach dem Ziel und dem Willen das Ziel zu erreichen.

Hören schafft Lebensqualität – Verschenken Sie nicht die Möglichkeiten die sich Ihnen Bieten.

 

Über Werner Eickmann

Seit 1993 arbeite ich in der Hörgeräteakustik. Als selbständiger Hörakustikmeister und Familienvater mit 4 Kindern nutze ich viel der wenigen freien Zeit für diese Homepage.

Hunde, Katzen, Hühner, Schafe und Meerschweinchen, sowie Axolotl, Fische und Wellensittiche sorgen für ein angenehmes akustisches Umfeld zu Hause, das ab und an durch Mundharmonika, Klavier und Gitarre bereichert wird.

Ein Hörgerät ist immer nur so gut wie die Fähigkeit des Akustikers. Wie gut der Akustiker jedoch seine Fähigkeiten ausspielen kann, legt die Technik des Hörgerätes fest.

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